Architekturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Ferdinand Keilmann Der Architekt Ferdinand Keilmann im Systemwandel des 20. Jahrhunderts
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8. Ein Architektenleben 4 9. Ein Architektenleben 5 10. Eine typische Karriere? 11. Literatur
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I. Einleitung

Ferdinand Keilmann, der im Mittelpunkt dieser Diplomarbeit steht, ist mein Großvater, und über einen Familienangehörigen eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben hat Vor- und Nachteile. Ein klarer Vorteil ist der leichte Zugang zu Unterlagen, die das Handeln der zu untersuchenden Person erklären. Auch gibt es meist eine Reihe von Familienmitgliedern, die über Entscheidungen, Situationen, Geschehnisse berichten können. Darüber hinaus ist das Vorhaben, Archivbestände einzusehen, unter Umständen leichter zu realisieren (dies gilt vor allem, wenn die betreffende Person noch lebt oder erst vor kurzem verstorben ist).

Je nach persönlichen Umständen können die Nachteile überwiegen. Als Familienmitglied besteht zum Untersuchungsgegenstand eine geringere Distanz als zu einer fremden Person. Ebenso besteht die Gefahr, daß aus Rücksicht auf das Ansehen der Familie (und somit das eigene Ansehen) die Forschung leidet (je nach Thema können ja unerfreuliche Dinge zum Vorschein kommen). Bei einem schlechten Verhältnis zwischen Wissenschaftler und untersuchter Person kann im anderen Extrem eine „Anklageschrift“ aus der Arbeit werden.

Diese möglichen Nachteile treffen meiner Meinung nach auf diese Arbeit nicht zu. Aufgrund räumlicher Trennung und dem aus meiner Sicht frühen Tod von Ferdinand Keilmann gab es zwischen ihm und mir nur geringe persönliche Berührungspunkte; meine Erinnerung beschränkt sich darauf, wie er am Flügel oder am Zeichentisch sitzt. Die deutlichsten Berührungspunkte stammen eher aus den Erzählungen meiner Großmutter Eva Keilmann, welche aber durch den persönlichen Bezug teilweise als idealisierend anzusehen sind. Als ich nun bei ihr Einblick in die private Korrespondenz und einen komplette Aktenordner mit Unterlagen zur beruflichen Entwicklung bekommen konnte, stellte sich heraus, daß es sich bei Ferdinand Keilmann um einen Mann handelte, der im Laufe seines Lebens oft an den Orten war, an denen Politik und Architektur aufeinandergeprallt sind. Dies war ein Anstoß zu dieser Arbeit.

Ein anderer wichtiger Ansatzpunkt war die Erkenntnis, daß es zwar über Albert Speer und die ihm unterstellte Ebene von Architekten namens Rimpl, Tamms, Wolters, Gutschow, u.a. eine mehr oder weniger umfassende Literatur gibt oder in Form von verschiedenen laufenden Dissertationen bald geben wird, jedoch findet sich über die Architekten, welche bei den Personen in dieser „Zweiten Ebene“ angestellt waren, in den wissenschaftlichen Bibliotheken wenig bis kein Material. Somit ist es interessant, zumindest einen dieser „Namenlosen“ aus der Versenkung zu holen und so unter Umständen auch auf die Vorgesetzten ein neues Licht zu werfen.

Der für mich entscheidende Aspekt bei der Betrachtung des Lebens von Ferdinand Keilmann ist die persönliche Entwicklung, die er zwischen Weimarer Republik und Bundesrepublik Deutschland durchlaufen hat. Bei der Beschäftigung mit dem Phänomen Nationalsozialismus ist es aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, wie die deutsche Bevölkerung dieser Diktatur, die mit Völkermord und Zweitem Weltkrieg die größte Katastrophe der Menschheit verursacht hat, an die Macht verhelfen konnte. Nun ist über die Selbstauflösung der Weimarer Republik auf parlamentarischer Ebene schon viel geschrieben und gesagt worden, aber bei der Betrachtung des einzelnen „normalen“ Menschen treten andere Aspekte in den Vordergrund. Die Biographie Ferdinand Keilmanns ermöglicht es, aus einem individuellen Blick-winkel die Gründe für die Unterstützung der Nationalsozialisten herauszuarbeiten, genauso wie im Lauf seines Lebens die Abkehr von dieser Ideologie deutlich wird. Dies liest sich in so kurzer Form sehr idealtypisch; Keil-manns Biographie ist nicht so glatt und nachvollziehbar, wie sie sich in diesen wenigen Zeilen darstellt. Keilmann war in erster Linie Künstler, was ihm in seinem Leben oft von Vorteil war. An einigen Punkten aber bereitete ihm diese Eigenschaft auch massive Schwierigkeiten, und zwar immer dann, wenn das spontane, kreative (und vielleicht auch übersensible) Reagieren auf Geschehnisse später als „Bumerang“ zurückkam, weil er die Folgen seiner Spontaneität nicht oder nicht ausreichend bedacht hatte oder auch nicht bedenken konnte. Diese künstlerische Veranlagung befreit ihn jedoch nicht von der Verantwortung, die der Einzelne für die Entwicklungen zum und im Nationalsozialismus hatte.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich einige Fragen, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen: Ist Ferdinand Keilmanns Karriere typisch für einen Architekten seiner Generation? War seine berufliche Entwicklung durch die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen vorgegeben oder hatte er Entscheidungsmöglichkeiten? Und falls er diese Möglichkeiten hatte, warum hat er so und nicht anders auf Entwicklungen reagiert und welche Alternativen gab es für die jeweiligen Entscheidungen?

Die Gliederung der gesamten Arbeit ergibt sich aus den gestellten Fragen und der beruflichen Entwicklung des Ferdinand Keilmann von seiner Lehrzeit bis zur Pensionierung. Die Hintergrundbetrachtung der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Lage, bezogen auf den Architektenberuf, ist als eigenes Kapitel in mehrere Zeitabschnitte unterteilt. Eine allgemeine Darstellung von Politik und Wirtschaft für den gesamten Zeitraum von 1920 bis 1960 kann hier nicht erfolgen, hier sei auf die Vielzahl von Veröffentlichungen verwiesen, die zu diesen Themenkomplexen existieren.[1]

Zum Ende des Ersten Weltkriegs war Ferdinand Keilmann 11 Jahre alt, die Inflation im November 1923 erlebte er mit 16 Jahren. Innerhalb dieser Zeitspanne, unabhängig von der politischen Prägung, die Keilmann durch sein Elternhaus eventuell erfahren hat, kam er zum ersten Mal in die Situation, sich mehr oder weniger bewußt mit der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung auseinander setzen zu müssen, da er mit der Wahl eines Ausbildungsplatzes vor der Frage nach seiner beruflichen Zukunft stand. Die Unterteilung des Kapitels II folgt somit den historischen Eckdaten ab dieser Zeit: Gründung der Weimarer Republik, nationalsozialistische Machtübernahme, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit, Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Als zusätzliches Kapitel ist in diesem Teil die spezielle Entwicklung des Landes Thüringen eingefügt, da Keilmann sich in der politisch bedeutsamen Zeit zwischen 1929 und 1933 an der Weimarer Staatlichen Bauhochschule aufgehalten hat, die als Landeseinrichtung in den politischen Kämpfen zwischen „Links“ und „Rechts“ zu einem zentralen Spielball der landespolitischen Auseinandersetzungen wurde.

Die häufigen Arbeitsplatzwechsel von Keilmann erfordert es im folgenden an einigen Stellen, auf spezielle politische und wirtschaftliche Entwicklungslinien näher einzugehen. Sofern diese nicht Teil der allgemeinen Betrachtung in Kapitel II sind (da sie z.B. thematisch zu speziell sind oder nur kurze Zeiträume umfassen), werden sie innerhalb der Biographie in Kapitel IV anhand der jeweiligen Tätigkeit Keilmanns erklärt.

Die Darstellung einer Architektenbiographie mit einem Geburtsjahrgang zwischen 1900 und 1910 ist nicht möglich, ohne auf die in diesem Zeitraum prägenden Akteure der Architekturgestaltung einzugehen, was in Kapitel III geschehen soll. Hier geht es zunächst um Albert Speer, der als „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ und später als „Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion“ zwischen 1937 und 1945 einen entscheidenden Einfluß auf das Bauwesen und somit die Biographie vieler Architekten dieser Zeit hatte.[2] Dieser Einfluß gilt für Keilmann insbesondere, da er sich während der genannten acht Jahre fast ständig in Arbeitsgebieten bewegte, welche durch Ministerien beeinflußt waren, die Albert Speer direkt unterstellt waren. Da Speer für die Generalplanungen nicht allein verantwortlich war, ist auf die Ebene der Architekten einzugehen, die zu seinem Arbeitsstab gehörten. Diese „Paladine“, die nach dem Zweiten Weltkrieg oft vergleichbare Positionen inne hatten wie vor und während des Krieges[3], waren die Arbeitgeber der „dritten Ebene“, die ihr Leben lang außerhalb des „Scheinwerferlichts“ als Angestellte gearbeitet haben. Über diese „dritte Ebene“, zu der Keilmann gehörte, ist noch keine eingehenden Literatur verfügbar, so daß sich diese Gruppe nicht eingehend beleuchten läßt; sie kann hier nur kurz und fragmentarisch angesprochen werden.

Das Kapitel IV, welches den Hauptteil dieser Arbeit darstellt, gliedert sich aus der Biographie von Ferdinand Keilmann mit den herausragenden Eckpunkten. Hier erfolgt der Versuch, Handlungsweisen und Aussagen aufzuzeigen, die eine, bezogen auf die Fragestellung umfassende Darstellung seines Lebens und seines Denkens ermöglichen sollen. Das Hauptaugenmerk liegt hier in der Zeit von 1929 bis 1955, da sich in diesem Zeitraum die wichtigsten Entwicklungen vollziehen. Vor 1929 spielen seine körperliche Behinderung und die familiäre Prägung eine entscheidende Rolle, nach 1955 ist allerdings nur noch die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare innere Emigration von Bedeutung. Außerdem ist zwischen diesen Jahren eine gewisse Rastlosigkeit in der beruflichen Entwicklung zu erkennen, für die geklärt werden soll, ob sie in der Persönlichkeit Keilmanns oder im Berufsstand des Architekten begründet ist. Für die gesamte berufliche Entwicklung ist schließlich von Bedeutung, daß Keilmann den Beruf des Musikers, den sein Vater für ihn vorgesehen hatte, wegen einer körperlichen Behinderung nicht antreten konnte. Die daraus resultierende Enttäuschung von Seiten des Vaters bekam Keilmann lange Zeit zu spüren und reagierte darauf mit einer starken Empfindlichkeit bezüglich der Anerkennung seiner beruflichen und künstlerischen Leistungen durch andere Personen (was in seinem Beruf oft dasselbe war).

Zur Gegenüberstellung der Biographie zur jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung dient das Kapitel V, wo alternative Möglichkeiten für Handlungen und Entscheidungen an einzelnen zentralen Punkten ausgearbeitet und anschließend bewertet werden. Dahinter steht die Frage, ob Keilmann in den jeweiligen Situationen überhaupt nach Alternativen gesucht hat, oder ob er mit dem Verlauf seiner beruflichen Entwicklung unter Berücksichtigung der politischen Verflechtung seiner Arbeitsverhältnisse einverstanden war. Schließlich soll dort der Versuch unternommen werden, zu klären, inwieweit Keilmanns Karriere typisch für einen Architekten dieser Generation war, wobei diese Frage wohl nicht abschließend beantwortet werden kann. Es war im Laufe der Recherche allerdings auffällig, wie viele vielleicht erstaunliche Parallelitäten die Biographie von Ferdinand Keilmann zu den Lebensläufen von Arbeits- und Studienkollegen aufweist.

Ein Gedanke, der diese Arbeit immer begleitet hat, hat Werner Durth in seinem Buch „Deutsche Architekten“ in der Einleitung treffend beschrieben:

„Immer wieder mußte Abstand genommen werden von jener Alltäglichkeit der dargestellten Lebensläufe, deren Anschaulichkeit leicht dazu verführen konnte, ungewollte Entlastungsstrategien aufzunehmen, sogar zu verlängern, und in die hermeneutische Falle distanzloser Verständnisbereitschaft zu geraten. Und immer wieder die Frage: Wie hätte man selbst gehandelt in vergleichbaren Situationen?“ [4]

Dieses Buch ist es auch, welches bewußt oder unbewußt die Art des Herangehens an die Biographie von Ferdinand Keilmann in dieser Arbeit geprägt hat. Ich folge damit dem Wunsch Durths, den er zum Ende seiner Einleitung formuliert: „Viele Gespräche wurden nicht geführt, viele Dokumente nicht ausgewertet. Diese Arbeit konnte nur der Anfang sein, muß Fragment bleiben. Ich hoffe, sie stößt andere an.“[5]



[1] Siehe unter anderem für die Weimarer Republik: Heiber, Helmut: Die Republik von Weimar, München 1990; Bracher, Karl Dietrich / Funke, Manfred / Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918-1933, Bonn 1987; für die nationalsozialistische Herrschaft: Bracher, Karl Dietrich: Die Deutsche Diktatur. Entstehung – Struktur – Folgen des Nationalsozialismus, Köln 1993; Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler, München 1978; für die Zeit bis Ende des Zweiten Weltkriegs: Craig, Gordon A.: Deutsche Geschichte 1866-1945, München 1989, für die Zeit nach 1945: Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Bonn 1991. Eine anschauliche Darstellung des gesamten Zeitraumes findet sich in: Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 20. unv. Aufl., Frankfurt a.M. 1989.
[2] Siehe unter anderem: Reif, Adalbert: Albert Speer. Kontroversen um ein deutsches Phä-nomen, München 1978; Schmidt, Mathias: Albert Speer. Das Ende eines Mythos. Speers wahre Rolle im dritten Reich, München 1982; Speer, Albert: Erinnerungen, Berlin 1969; Fest, Joachim C.: Speer. Eine Biographie, Berlin 1999.
[3] Siehe unter anderem: Durth, Werner: Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970, Frankfurt am Main 1987; Nerdinger, Winfried: Bauhaus – Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung, München 1993; Lane, Barbara Miller: Architektur und Politik in Deutschland 1918-1945, Braunschweig 1986; Beyme, Klaus von: Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München 1987.
[4] Durth 1987, S. 17.
[5] Ebd., S. 25.
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Jene, die nichts aus der Geschichte lernen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen."
George Santayana (1863 - 1952)