Architekturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
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Typisch Wolfsburg! - Vom Werden einer neuen Stadt 1938 - 2008
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Eine Stadt in der Stadt – 70 Jahre Volkswagenwerk und seine Bauten


Der Begriff Industriearchitektur verbindet sich in Wolfsburg in erster Linie mit der Architektur des VW-Werkes, allerdings bekommt der Passant mit dem Verwaltungshochhaus, den Werkshallen, dem Kraftwerk und der Autostadt nur die jeweils zehn jüngsten und ältesten Jahre der 70-jährigen Werksgeschichte zu Gesicht. Dabei hat das Werk einiges mehr an Industriearchitektur zu bieten; allerdings versteckt, auch wenn Werksgelände dieser Größe heute nicht mehr grundsätzlich den Charakter einer verbotenen Stadt in sich tragen.

Weit über die ursprünglichen Grenzen des Werkes von 1938 hinausgewachsen, mit neuen Funktionen eines vernetzt agierenden Konzerns versehen, hat die Volkswagen AG mit der noch jungen AutoUni den Sprung über den Mittellandkanal vollzogen und so zusammen mit der Autostadt als Eventangebot neue Wirtschaftsfaktoren für eine Stadt geschaffen, die seit jeher mit den Konjunkturzyklen der Automobilindustrie atmet - eine strukturell äußerst wichtige Entwicklung.

Modernität von Industriearchitektur im Nationalsozialismus stellt in der Forschung schon länger keinen Widerspruch mehr dar, so dass die selbst entlastend gemeinte Aussage von der „Zuflucht im Industriebau“, so der Titel eines Artikels von Rudolf Lodders, Haus- und Hofarchitekt der Borgwardwerke, aus dem ersten Nachkriegsheft der Zeitschrift Baukunst und Werkform von 1946, heute kaum noch kritiklos stehen bleiben kann. Das NS-Regime wusste verschiedenste architektonische Gestaltungsprinzipien propagandistisch zu nutzen und wies auch der in der Frühzeit der Diktatur als baubolschewistisch verurteilten modernen Formensprache ihre Umsetzungsgebiete zu.

Dass diese nicht nur in Nischen lagen, beweist nicht nur das Volkswagenwerk, welches nach Aussage der Deutschen Arbeitsfront ein „großes Olympia der Arbeit“ sein sollte, sondern auch der an zentraler Stelle in Berlin geplante Südbahnhof an der Nord-Südachse der neuen Reichshauptstadt – eine mit dünnen Granitplatten verkleidete, durch und durch moderne Stahlbetonkonstruktion. Die Gestaltung entstand aus dem Kontext der Nutzung: in Berlin das modernste Bauwerk für das Verkehrsmittel Eisenbahn, in der Stadt des KdF-Wagens die modernste Produktionsstätte für das zukünftige Mittel der Massenmotorisierung – den Volkswagen.

Die Kriegsvorbereitungen mit ihrer einhergehenden Materialverknappung ließen das Volkswagenwerk noch reduzierten und somit „moderner“ entstehen, als in den Plänen der Architekten Emil Rudolf Mewes, Martin Kremmer und Fritz Schupp vorgesehen war, wodurch sich gerade diese Modernität als eine Ausprägung faschistischer Kulturauffassung präsentiert. Entgegen der noch kurze Zeit zuvor reichsweit propagierten „Schönheit der Arbeit“ erhielt das Werk nur noch eine Turnhalle mit zugehöriger Kampfbahn sowie eine Zentralküche, während die Errichtung des geplanten Gemeinschaftshauses ebenso wie des Verwaltungshochhauses den Kriegsvorbereitungen geschuldet blieb.

Mit der Rekonstruktion der teilzerstörten Produktionshallen blieb die Südfassade mit ihren 19 Sektoren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unverändert zum dem ursprünglichen Zustand. Gemeinsam mit der Einfügung dreier weiterer Sektoren in die nun auf über 1.200 m gestreckte Fassade entstand ab 1957 das Verwaltungshochhaus als westlicher Abschluss der Werkfront. Mit seinem im Durchmesser acht Meter großen Volkswagenlogo bildet es noch heute einen optischen Gegenpol zum östlichen gelegenen Kraftwerk und kann als eigenständiger Entwurf der VW-Hochbauabteilung gelten. Allerdings nahm das VW-Werk mit dem Aufbau einer solchen Abteilung in der direkten Nachkriegszeit keine Sonderstellung unter deutschen Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen ein, da qualifizierte Architekten auf dem Arbeitsmarkt schwer zu finden waren und der Umfang der (Wieder-)Aufbautätigkeit Planungsaufgaben für Jahrzehnte versprach.

War das Verwaltungshochhaus bei seiner Grundsteinlegung noch mit elf Stockwerken vorgesehen, so entfaltete sich in der Unternehmensleitung noch während der zweijährigen Bauphase aufgrund steigender Fahrzeug-Verkaufszahlen das Bedürfnis nach mehr Raum und gleichzeitig auch nach mehr Repräsentanz, was schließlich zur Einweihung des noch heute sichtbaren 13-stöckigen Hochhauses im Jahre 1959 führte. Die Volkswagen AG hatte damit, wenn auch in kleinerem Maßstab, ein ähnliches Symbol zur Repräsentation der wirtschaftlichen Stellung errichtet, wie es beispielsweise für die rheinischen Stahl- oder Chemiekonzerne in dieser Dekade typisch war (BASF-Hochhaus in Ludwigshafen 1954-1957, Thyssen „Dreischeiben-Hochhaus“ in Düsseldorf 1957-60).

Die drei neu geschaffenen Sektoren der Südfassade boten Platz für weitere Sozialräume des Werkes. Zu nennen ist hier neben dem „Gelben Saal“, der als Betriebsrestaurant für Führungskräfte diente, vor allem der „Blaue Saal“, eigentlich die Gästekantine. Hier fand auch die von Heinrich Nordhoff zum Ende eines jeden Geschäftsjahres inszenierte Verleihung der Tausend-Mark-Prämie an Vertriebsmitarbeiter statt.

Unterdessen waren sowohl die Turnhalle als auch der Sportplatz von der englischen Besatzungsverwaltung geschlossen worden; sie vertrat die Ansicht, dass sportliche Betätigung nicht mit der Betriebsführung eines Fahrzeugwerks vereinbar seien. Die Sportanlagen fielen späterer Bebauung bzw. der Umwandlung in einen Parkplatz zum Opfer.

In den Jahren zwischen 1960 und 1995 erfuhr das Werk gewaltige Erweiterungen, die sich jedoch weitgehend außerhalb de Wahrnehmung der Öffentlichkeit vollzogen Bemerkenswert ist hier die Neuerrichtung des aus Atrium und Prüfhalle bestehende Forschungs- und Entwicklungszentrums durch Walter Henn in den Jahren 1981/82. Henn gehörte als Professor für Baukonstruktion an der TH Braunschweig zu den drei Vertretern der „Braunschweiger Schule“ (zusammen mit Friedrich Wilhelm Kraemer und Dieter Oesterlen) und betrieb zusammen mit seinem Sohn Gunter seit 1979 ein Architekturbüro.

Der quadratischen viergeschossigen Atriumsbau mit der Kantenlänge von knapp 70 m enthielt neben Büro- und Seminarräumen und einem Rechenzentrum auch einen größeren Hörsaal; im begrünten Atriumhof waren von vornherein Sitzplätze und eine aufgeglasten Cafébar vorgesehen. Die angeschlossene zweigeschossige Prüfhalle mit einem Grundriss von 116 m x 73 m bot für Raum eine große Zahl an Prüfständen unterschiedlichster Art sowie einen großen Werkstattbereich.

Beide Gebäudeteile wurden in Stahlbeton-Mischbauweise errichtet: die Außenwände in geschoßhohen Stahlbeton-Fertigteilen, die inneren Stützen in Ortbeton. Bei der Gestaltung der Außenfassaden orientierte sich Henn an der bereits vorgefundenen Gestaltung des Ursprungswerkes in rotem Klinker und ließ die Großmontageplatten mit Klinkerriemchen gestalten. Um keine handwerkliche Verarbeitung vorzutäuschen und gleichzeitig den zeitlichen Abstand zum Hauptwerk zu dokumentieren, waren die Klinkerriemchen nicht im Verband, sondern wie bei der Verlegung von Fliesen mit Stoßfugen platziert.

In die Ära Piech fällt die deutlichste Änderung des architektonischen Unternehmensauftritts, der den Baustoff Klinker hinter sich ließ und sich in Stahl und Glas präsentiert. Henn Architekten aus München (Inhaber Gunter Henn) entwickelten ein Ensemble aus Pavillons, Kundencenter, Konzernforum und Zeithaus, welches seit dem Jahr 2000 den Besucher durch die Welt des Automobils führt. Die Anordnung der Baukörper mit den beiden 48 m hohen Türmen aus Stahl und Glas und weiterer elementarer Architekturformen stellen, gepaart mit einer japanisch anmutenden Garten-Seen-Landschaft, eine ein Gleichgewicht anstrebende neue Corporate Identity der Volkswagen AG in ihrer führenden Rolle unter den Automobilherstellern dar. Seit Eröffnung ein Besuchermagnet, bringt die Autostadt als Kommunikationsplattform in ihrer Ausprägung einer der wichtigsten Marketing- und Vertriebsmaßnahmen dem Gast den Mehrmarkenkonzern Volkswagen AG in moderner und entspannter Art näher, ohne aufdringlich sein zu wollen.

Im Wolfsburger Stadtteil Hageberg, in der Nähes des ebenfalls neuen Forum Autovision findet sich der seit dem Jahr 2003 errichtete MobileLifeCampus, der neben der ursprünglich vorgesehenen AutoUni mit ihren Büros und Seminarräumen heute auch das niedersächsische Zentrum für Fahrzeugtechnik beherbergt. Eine offene und transparente Gestaltung verdeutlicht die Grundidee verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zu vernetzen. Der voluminöse Baukörper, gestaltet wiederum durch Henn Architekten, wird dreidimensional durch Treppen, Gänge und Aufzüge durchdrungen. Freie Bereiche, wie Atrien und Innenhöfe, wechseln sich mit Büroräumen ab. Die Schaffung von verschiedenen Zonen erfolgte durch zwei, über eine Länge von 165 Metern, eng miteinander verschlungene Bänder. Diese begrenzen die Nutzflächen und definieren die dazwischen liegenden offenen Bereiche. Die Gebäudestruktur ist auch an den Außenfassaden ablesbar. Massive Betonscheiben wechseln sich mit großflächigen Glasfassaden ab. Der Innenraum wird durch das zentrale, quadratische Atrium charakterisiert, welches die fünf Geschosse miteinander verbindet und zur Kommunikation einlädt.
Architekt Keilmann
Tunnelbeleuchtung
Ehrenmal Schöntal
DAW
Südbahnhof
Neufert und BfB
Wilhelm Heintz
Karl Neupert
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"Jene, die nichts aus der Geschichte lernen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen."
George Santayana (1863 - 1952)