Eine Stadt in der Stadt – 70 Jahre
Volkswagenwerk und seine
Bauten
Der
Begriff Industriearchitektur verbindet sich in Wolfsburg in erster
Linie mit der Architektur des VW-Werkes, allerdings bekommt der Passant
mit dem Verwaltungshochhaus, den Werkshallen, dem Kraftwerk und der
Autostadt nur die jeweils zehn jüngsten und ältesten
Jahre
der 70-jährigen Werksgeschichte zu Gesicht. Dabei hat das Werk
einiges mehr an Industriearchitektur zu bieten; allerdings versteckt,
auch wenn Werksgelände dieser Größe heute
nicht mehr
grundsätzlich den Charakter einer verbotenen Stadt in sich
tragen.
Weit
über die ursprünglichen Grenzen des Werkes von 1938
hinausgewachsen, mit neuen Funktionen eines vernetzt agierenden
Konzerns versehen, hat die Volkswagen AG mit der noch jungen AutoUni
den Sprung über den Mittellandkanal vollzogen und so zusammen
mit
der Autostadt als Eventangebot neue Wirtschaftsfaktoren für
eine
Stadt geschaffen, die seit jeher mit den Konjunkturzyklen der
Automobilindustrie atmet - eine strukturell äußerst
wichtige
Entwicklung.
Modernität
von Industriearchitektur im Nationalsozialismus stellt in der Forschung
schon länger keinen Widerspruch mehr dar, so dass die selbst
entlastend gemeinte Aussage von der „Zuflucht im
Industriebau“, so der Titel eines Artikels von Rudolf
Lodders,
Haus- und Hofarchitekt der Borgwardwerke, aus dem ersten Nachkriegsheft
der Zeitschrift Baukunst und Werkform von 1946, heute kaum noch
kritiklos stehen bleiben kann. Das NS-Regime wusste verschiedenste
architektonische Gestaltungsprinzipien propagandistisch zu nutzen und
wies auch der in der Frühzeit der Diktatur als
baubolschewistisch
verurteilten modernen Formensprache ihre Umsetzungsgebiete zu.
Dass
diese nicht nur in Nischen lagen, beweist nicht nur das Volkswagenwerk,
welches nach Aussage der Deutschen Arbeitsfront ein
„großes
Olympia der Arbeit“ sein sollte, sondern auch der an
zentraler
Stelle in Berlin geplante Südbahnhof an der
Nord-Südachse der
neuen Reichshauptstadt – eine mit dünnen
Granitplatten
verkleidete, durch und durch moderne Stahlbetonkonstruktion. Die
Gestaltung entstand aus dem Kontext der Nutzung: in Berlin das
modernste Bauwerk für das Verkehrsmittel Eisenbahn, in der
Stadt
des KdF-Wagens die modernste Produktionsstätte für
das
zukünftige Mittel der Massenmotorisierung – den
Volkswagen.
Die
Kriegsvorbereitungen mit ihrer einhergehenden Materialverknappung
ließen das Volkswagenwerk noch reduzierten und somit
„moderner“ entstehen, als in den Plänen
der
Architekten Emil Rudolf Mewes, Martin Kremmer und Fritz Schupp
vorgesehen war, wodurch sich gerade diese Modernität als eine
Ausprägung faschistischer Kulturauffassung
präsentiert. Entgegen der noch
kurze Zeit zuvor reichsweit propagierten „Schönheit
der
Arbeit“ erhielt das Werk nur noch eine Turnhalle mit
zugehöriger Kampfbahn sowie eine Zentralküche,
während
die Errichtung des geplanten Gemeinschaftshauses ebenso wie des
Verwaltungshochhauses den Kriegsvorbereitungen geschuldet blieb.
Mit
der Rekonstruktion der teilzerstörten Produktionshallen blieb
die
Südfassade mit ihren 19 Sektoren nach dem Zweiten Weltkrieg
zunächst unverändert zum dem ursprünglichen
Zustand.
Gemeinsam mit der Einfügung dreier weiterer Sektoren in die
nun
auf über 1.200 m gestreckte Fassade entstand ab 1957 das
Verwaltungshochhaus als westlicher Abschluss der Werkfront. Mit seinem
im Durchmesser acht Meter großen Volkswagenlogo bildet es
noch
heute einen optischen Gegenpol zum östlichen gelegenen
Kraftwerk
und kann als eigenständiger Entwurf der VW-Hochbauabteilung
gelten. Allerdings nahm das VW-Werk mit dem Aufbau einer solchen
Abteilung in der direkten
Nachkriegszeit keine Sonderstellung unter deutschen
Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen ein, da
qualifizierte
Architekten auf dem Arbeitsmarkt schwer zu finden waren und der Umfang
der (Wieder-)Aufbautätigkeit Planungsaufgaben für
Jahrzehnte
versprach.
War
das Verwaltungshochhaus bei seiner Grundsteinlegung noch mit elf
Stockwerken vorgesehen, so entfaltete sich in der Unternehmensleitung
noch während der zweijährigen Bauphase aufgrund
steigender
Fahrzeug-Verkaufszahlen das Bedürfnis nach mehr Raum und
gleichzeitig auch nach mehr Repräsentanz, was
schließlich
zur Einweihung des noch heute sichtbaren 13-stöckigen
Hochhauses
im Jahre 1959 führte. Die Volkswagen AG hatte damit, wenn auch
in
kleinerem Maßstab, ein ähnliches Symbol zur
Repräsentation der wirtschaftlichen Stellung errichtet, wie es
beispielsweise für die rheinischen Stahl- oder Chemiekonzerne
in
dieser Dekade typisch war (BASF-Hochhaus in Ludwigshafen 1954-1957,
Thyssen „Dreischeiben-Hochhaus“ in
Düsseldorf 1957-60).
Die
drei neu geschaffenen Sektoren der Südfassade boten Platz
für
weitere Sozialräume des Werkes. Zu nennen ist hier neben dem
„Gelben Saal“, der als Betriebsrestaurant
für
Führungskräfte diente, vor allem der „Blaue
Saal“, eigentlich die Gästekantine. Hier fand auch
die von
Heinrich Nordhoff zum Ende eines jeden Geschäftsjahres
inszenierte
Verleihung der Tausend-Mark-Prämie an Vertriebsmitarbeiter
statt.
Unterdessen
waren sowohl die Turnhalle als auch der Sportplatz von der englischen
Besatzungsverwaltung geschlossen worden; sie vertrat die Ansicht,
dass sportliche Betätigung nicht mit der
Betriebsführung
eines Fahrzeugwerks vereinbar seien. Die Sportanlagen fielen
späterer Bebauung
bzw. der Umwandlung in einen Parkplatz zum Opfer.
In
den Jahren zwischen 1960 und 1995 erfuhr das Werk gewaltige
Erweiterungen, die sich jedoch weitgehend außerhalb de
Wahrnehmung der Öffentlichkeit vollzogen Bemerkenswert ist
hier
die Neuerrichtung des aus Atrium und Prüfhalle bestehende
Forschungs- und Entwicklungszentrums durch Walter Henn in den Jahren
1981/82. Henn gehörte als Professor für
Baukonstruktion an
der TH Braunschweig zu den drei Vertretern der
„Braunschweiger
Schule“ (zusammen mit Friedrich Wilhelm Kraemer und Dieter
Oesterlen) und betrieb zusammen mit seinem Sohn Gunter seit 1979 ein
Architekturbüro.
Der
quadratischen viergeschossigen Atriumsbau mit der Kantenlänge
von
knapp 70 m enthielt neben Büro- und Seminarräumen und
einem
Rechenzentrum auch einen größeren Hörsaal;
im
begrünten Atriumhof waren von vornherein Sitzplätze
und eine
aufgeglasten Cafébar vorgesehen. Die angeschlossene
zweigeschossige Prüfhalle mit einem Grundriss von 116 m x 73 m
bot
für Raum eine große Zahl an
Prüfständen
unterschiedlichster Art sowie einen großen Werkstattbereich.
Beide
Gebäudeteile wurden in Stahlbeton-Mischbauweise errichtet: die
Außenwände in geschoßhohen
Stahlbeton-Fertigteilen,
die inneren Stützen in Ortbeton. Bei der Gestaltung der
Außenfassaden orientierte sich Henn an der bereits
vorgefundenen Gestaltung des Ursprungswerkes in rotem Klinker und
ließ die Großmontageplatten mit Klinkerriemchen
gestalten.
Um keine handwerkliche Verarbeitung vorzutäuschen und
gleichzeitig
den zeitlichen Abstand zum Hauptwerk zu dokumentieren, waren die
Klinkerriemchen nicht im Verband, sondern wie bei der Verlegung von
Fliesen mit Stoßfugen platziert.
In
die Ära Piech fällt die deutlichste Änderung
des
architektonischen Unternehmensauftritts, der den Baustoff Klinker
hinter sich ließ und sich in Stahl und Glas
präsentiert.
Henn Architekten aus München (Inhaber Gunter Henn)
entwickelten
ein Ensemble aus Pavillons, Kundencenter, Konzernforum und Zeithaus,
welches seit dem Jahr 2000 den Besucher durch die Welt des Automobils
führt. Die Anordnung der Baukörper mit den beiden 48
m hohen
Türmen aus Stahl und Glas und weiterer elementarer
Architekturformen stellen, gepaart mit einer japanisch anmutenden
Garten-Seen-Landschaft, eine ein Gleichgewicht anstrebende neue
Corporate Identity der Volkswagen AG in ihrer führenden Rolle
unter den Automobilherstellern dar. Seit Eröffnung ein
Besuchermagnet, bringt die Autostadt als Kommunikationsplattform in
ihrer Ausprägung einer der wichtigsten Marketing- und
Vertriebsmaßnahmen dem Gast den Mehrmarkenkonzern Volkswagen
AG
in moderner und entspannter Art näher, ohne aufdringlich sein
zu
wollen.
Im
Wolfsburger Stadtteil Hageberg, in der Nähes des ebenfalls
neuen
Forum Autovision findet sich der seit dem Jahr 2003 errichtete
MobileLifeCampus, der neben der ursprünglich vorgesehenen
AutoUni
mit ihren Büros und Seminarräumen heute auch das
niedersächsische Zentrum für Fahrzeugtechnik
beherbergt. Eine
offene und transparente Gestaltung verdeutlicht die Grundidee
verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zu vernetzen. Der
voluminöse Baukörper, gestaltet wiederum durch Henn
Architekten, wird dreidimensional durch Treppen, Gänge und
Aufzüge durchdrungen. Freie Bereiche, wie Atrien und
Innenhöfe, wechseln sich mit Büroräumen ab.
Die
Schaffung von verschiedenen Zonen erfolgte durch zwei, über
eine
Länge von 165 Metern, eng miteinander verschlungene
Bänder.
Diese begrenzen die Nutzflächen und definieren die dazwischen
liegenden offenen Bereiche. Die Gebäudestruktur ist auch an
den
Außenfassaden ablesbar. Massive Betonscheiben wechseln sich
mit
großflächigen Glasfassaden ab. Der Innenraum wird
durch das
zentrale, quadratische Atrium charakterisiert, welches die
fünf
Geschosse miteinander verbindet und zur Kommunikation einlädt.