Die Zeit
drängte im März 1936. Für Pfingsten war der
Jägertag des 2. Jägerbataillons angekündigt
und dieser Termin ließ sich nicht verschieben,
während die Genehmigung des Münchner
Staatsministeriums des Innern für die Errichtung des geplanten
Jägerehrenmals noch immer nicht erteilt war. Schon jetzt stand
fest, dass das Bauwerk nicht in allen Details fertig gestellt werden
könnte, aber jedes weitere Zögern würde dem
Ansehen Aschaffenburgs schweren Schaden zufügen.
Bürgermeister Wohlgemuth und Baurat Vogt blieb nichts anderes
übrig, als ohne höhere Zustimmung die ersten
Aufträge an Handwerks- und Baufirmen zu vergeben. Am
Pfingstsonntag, dem 31. Mai 1936 waren dann tatsächlich alle
Bauarbeiter aus dem Magnolienhain verschwunden und die Weihe des
Ehrenmals konnte reibungslos unter den Augen von Jägern und
geladenen Mitgliedern aus NSDAP, Soldatenbund und Reichskriegerbund
durchgeführt werden; sogar die Sonne ließ sich
blicken. Ob 10 Jahre später – beim Abriss des
Bauwerks – die Sonne schien, ist nicht überliefert.
Die Verbundenheit des 2. Bayerischen Jägerbataillons mit Aschaffenburg hatte eine lange Tradition. Die Jäger, die auf Einsätze im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und umfangreiche Beteiligung an Kampfhandlungen im Ersten Weltkrieg zurückschauen konnten[1], waren erstmals 1825 und seit 1891 ständig in Aschaffenburg stationiert[2]. Eine – aus heutiger Sicht – nicht ganz so lange Tradition kann die Aschaffenburger Diskussion um ein angemessenes Denkmal für die Gefallenen des 2. Jägerbataillons aufweisen. Zur Mitte des Jahres 1924 organisierten sich auf Anregung des damaligen Oberbürgermeisters Geheimrat Dr. Matt[3] der Ehemaligenverband der Jäger und Honoratioren der Stadt, um erstmals Pläne für ein Ehrenmal zu entwickeln. Während die Finanzierung des Vorhabens durch die Aschaffenburger Industrie[4] in einem angemessenen Umfang sichergestellt werden konnte, waren die Details der Realisierung umstritten. Dies galt bereits für die Form des Denkmals. Die Errichtung von figürlich ausgearbeiteten Soldaten schied aufgrund der hierbei entstehenden Kosten aus; daneben unterschieden sich die Jäger im Ersten Weltkrieg in ihrer militärischen Ausstattung nicht mehr von Infanteristen, da der für die Jäger typische Tschako[5] durch den Stahlhelm ersetzt worden war[6]. Um trotzdem eine den Jägern angemessene Symbolik zu erreichen, entwarf der Aschaffenburger Bildhauer Otto Rudolph Gentil (1892-1969) in Anlehnung an das Hubertusmotiv einen im Stil der Zeit expressionistisch gestalteten Hirsch aus Bronze mit Hubertuskreuz[7].
Otto Gentil, Sohn des als „Pumpen-Anton“ bekannten Fabrikanten Anton Gentil, befand sich zum Zeitpunkt der Schaffung des ersten Jägerehrenmals trotz seiner 32 Jahre noch am Anfang seiner künstlerischen Betätigung. Er hatte ab 1905 bis 1914 eine Ausbildung im Metallhandwerk größtenteils absolviert, brach aber, wie viele Künstler aus seiner Generation, nach den Kriegserlebnissen den begonnen Weg in eine berufliche Kontinuität des Elternhauses ab. Während der Vater künstlerische Ambitionen und unternehmerisches Handeln vereinbarte, entschied sich Otto Gentil ausschließlich für die künstlerische Betätigung sowie die Weitergabe kunsthandwerklicher Kenntnisse an Auszubildende. Er studierte von 1918 bis 1924 zunächst Bildhauerei und anschließend Goldschmiedekunst an der Kunstgewerbeschule in München[8]. Seine Beschäftigung mit dem Jägerehrenmal im Schlosshof markierte einen Wendepunkt in seinem Werdegang, da er genau zu dieser Zeit seine freischaffende Tätigkeit in München aufgab, um ab 1926 an Otto Leitolfs[9] (1881-1967) Aschaffenburger Meisterschule als Lehrer in den Steinmetzwerkstätten tätig zu werden[10].
Nachdem der Gestalter und die Form des Ehrenmals feststanden, kümmerte sich der Denkmalsausschuss um die Standortsuche. Bereits 1924 hatte sich eine Diskussion um einen passenden Aufstellungsort entwickelt, die sich – wie noch zu sehen sein wird – in den kommenden 50 Jahren mehrfach wiederholen sollte. Die zunächst ins Auge gefasste Insel an der Kreuzung Würzburger-, Hofgarten- und Grünewaldstraße kam aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Der „Beobachter am Main“ beschrieb am 5. August 1925 anschaulich, dass „die probeweise Umsetzung dieser Idee in die Praxis durch Aufstellung von Phantomen, Skizzen etc. etc. […] die Unmöglichkeit dieser Durchführung (zeigte)[11]. Bemängelt wurde zum einen der fehlende „würdige Hintergrund; die Würzburgerstraße mit ihrem gerade nicht ästhetisch wirkenden Durcheinander von großen und kleinen Häusern war kein solcher“; zum anderen war die betreffende Ecke der Grünewaldstraße damals nicht bebaut und es bestand die Gefahr, dass die zukünftige Bebauung den ästhetischen Eindruck des Denkmals beeinträchtigen könnte. Der entscheidende Kritikpunkt war, dass „das Denkmal an dieser Stelle rückenfrei stand, d.h. der Hirsch bot für den aus Richtung Kaserne oder Grünewaldstraße Kommenden mit seiner Rückseite einen immerhin etwas merkwürdigen Willkommensgruß.“[12]
Weitere
Standortvorschläge wurden
gemacht und verworfen. Weder kam die Schöntalmauer in Frage,
noch der
von Dr.
Matt bevorzugte Plan, das im Nilkheimer Park befindliche Tempelchen in
den
Magnolienhain zu versetzen und das Denkmal hinein zu stellen[13].
Auch der Vorschlag des angesehen Architekten Otto Leitolf, den Hirsch
in ein
Nische
des alten Turms im Schloss
Johannisburg zu platzieren,
stieß nicht auf
die Zustimmung des für die Genehmigung zuständigen
Münchner Kunstausschusses.
Erst Otto Gentils Idee, in Variation des Leitolf’schen
Vorschlags das Denkmal
auf einen Muschelkalksockel am Bergfried des Schlosses anzubringen,
fand trotz
einiger Bedenken die Gnade der fernen Kulturhüter[14].
So wurde der Entwurf von Otto Gentil in der Fabrik seines Vaters Anton
in
Bronze gegossen[15]
und es erschien am
Sonntag, den 15. August 1925 der Wittelsbacher Kronprinz Rupprecht, um
der
feierlichen Einweihung des Jägerehrenmals unter den
Klängen des „Liedes vom
Alten Kameraden“ im Schlosshof beizuwohnen[16].
Für einige Jahre schlossen die Kritiker zumindest in der öffentlichen Diskussion ihren Frieden mit dem Denkmal, für das sich allerdings in verspottender Weise der Spitzname „Kukirol-Hirsch“ etablierte; ob eine Ähnlichkeit mit der damaligen spitzbärtigen und mit markanten Augenbrauen ausgestatteten Werbefigur für das Hühneraugenmittel Kukirol zu diesem Namen inspirierte oder ob die Marke mit einem vergleichbaren Hirschmotiv beworben wurde, ist heute unklar. Jedenfalls erhielten die Kritiker mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Einflussmöglichkeiten, um einen abweichenden, größeren Entwurf umzusetzen[17]. Erneut gab es in der zuständigen Kommission aus Oberbürgermeister und Verein der ehemaligen Jäger die bereits bekannte Diskussion um den Standort. In Erwägung wurden zunächst Standorte in Verbindung mit dem Kornhäuschen und der Kastanienallee oder der Ecke Grünewaldstraße/Würzburgerstraße gezogen[18], der aktuelle Standort am Schlossturm fand nach Aussage des Autors der gleichgeschalteten Aschaffenburger Zeitung vom Januar 1936 weder Anklang bei der Bevölkerung noch bei den Angehörigen des 2. Jägerbataillons[19]. Schließlich entschied man sich für den Magnolienhain im Schöntal[20].
Für
die Ausführung wurde ein eng
begrenzter Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem nur zwei Teilnehmer
wurden; zum einen der Münchner Bildhauer Eugen Henke[21]
und zum anderen erneut Otto Gentil, der in der Folge Pläne in
Zusammenarbeit
mit dem noch jungen Architekten Ferdinand Keilmann jun.[22]
(1907-1979) vorlegte. Keilmann
konnte bereits
1933 einen Denkmalsentwurf für „Ein nationales
Mahnmal“ in der Aschaffenburger
Zeitung veröffentlichen[23]
und erhoffte sich durch die Beteiligung an dem Ehrenmalswettbewerb
einen
Anschub für seine stockende berufliche Karriere. Aus diesem
ersten Wettbewerb,
der
vermutlich noch 1934 ausgelobt wurde, gingen Gentil/Keilmann zwar
als Favoriten hervor,
jedoch konnten ihre
Entwürfe die Juroren nicht völlig
überzeugen, so dass
vom Prüfungsausschuss eine
Überarbeitung der Pläne verlangt
wurde[24].
Die Fertigstellung
der neuen Gestaltungsvorschläge
nach
konkretisierten
Vorgaben zog sich bis 1935 hin und endete trotz noch vorhandener
Bedenken und
Kritik mit einer Mehrheitsentscheidung für den Entwurf der
lokalen Künstler und
mit der Veröffentlichung der Entwurfszeichnungen im Rahmen
eines ganzseitigen
Artikels in der Aschaffenburger Zeitung Anfang Januar 1936[25].
Es
waren jetzt nur noch wenige
Monate bis zum Jägerfest und die Pläne waren immer
noch nicht ausführungsreif,
als sich das
Bayerische Innenministerium
einschaltete. Hintergrund war
die
herausragende politische Bedeutung eines solchen Ehrenmales, welches
unbedingt
den künstlerischen und ideologischen Ansprüchen des
Staates entsprechen musste.
Um dieser Anforderung gerecht zu werden, ordnete das Innenministerium
mit einem
Schreiben vom 22. Februar 1936 an, dass ein Experte zur
Überarbeitung der
vorgelegten Pläne eingeschaltet werden sollte. Dieser Experte
für die
Sicherstellung des „ästhetischen
Anspruchs“ war niemand geringerer als der
Bildhauer Kurt
Schmid-Ehmen[26]
(1901-1968), welcher seit Hitlers
Machtübernahme
annähernd
alle bedeutenden Reichsadler gestaltet hatte. Seine
Entwürfe fanden sich in
der Münchner
Feldherrenhalle in Form eines Reichsadlers mit Hakenkreuz im Eichenlaub
zur
Erinnerung an die nationalsozialistischen Opfer des Hitler-Putsches von
1923,
auf dem Münchner Königsplatz in Form von Reichsadlern
auf hohen schlanken Säulen;
darüber hinaus wurden sämtliche Adler des
Nürnberger Reichsparteitagsgeländes
von ihm entworfen. Schmid-Ehmen sollte 1937 für die
Ausschmückung des deutschen
Pavillons auf der Weltausstellung 1936 in Paris mit einem 9 Meter hohen
Reichsadler – der Pavillon selbst war von Albert Speer
geplant – einen Grand
Prix der République Francaise erhalten[27].
Seine besondere
Bedeutung
war auch daran zu
erkennen, dass er zu den Bildhauern gehörte, die für
die Gestaltung der von
Albert Speer geplanten Neuen Reichskanzlei in Berlin herangezogen
wurden. Neben
der Beteiligung an der künstlerischen Ausgestaltung des
„Arbeitszimmer des
Führers“[28]
oblag ihm die Dekoration
über dem Eingangsportal mit einem Adler, der eine Spannweite
von 7,75 m aufwies[29].
Gerade diese umfangreiche bildhauerische Tätigkeit im
Staatsauftrag brachte
Schmid-Ehmen den Spitznamen „Reichsstukkateur“ ein[30].
Nachdem der Prüfungsausschuss die Pläne von Keilmann und Gentil bevorzugte, lag die Entscheidung über die Änderungen und somit den Baubeginn beim Staatsministerium des Innern. In einem Brief vom 22. Februar an den Aschaffenburger Oberbürgermeister[31] kritisierte der zuständige Ministerialbeamte Hagen die vorgelegten und bereits in der Aschaffenburger Zeitung veröffentlichten Pläne, konnte aber auch gleichzeitig die Veränderungsvorschläge von Kurt Schmid-Ehmen mitteilen:[32]
„1.)
Die vor der Mauernische geplanten
katafalkartigen Steinblöcke mit den Reliefdarstellungen und
die einzelnen,
längs der Rückseite des Platzes vorgesehenen
Gedenktafeln sind wegzulassen, um
einen friedhofartigen Eindruck der Hainanlage zu vermeiden und diese in
ihrem
bestehenden Charakter möglichst zu erhalten.Die
Namen der Gefallenen können auf der inneren
Mauerfläche der Nische eingeschrieben werden […].
2.)
Den auf hohen Steinpostamenten gedachten
Kriegerfiguren kann ich in dieser Anordnung nicht zustimmen; zwei
Kriegerplastiken
können als symbolische Wächter an oder in der
Nischenmauer aufgestellt werden,
sie dürfen aber die Mauer nicht
überragen[…]. Bildhauer Kurt Schmid-Ehmen,
Senator der Reichskulturkammer (ist) zuzuziehen, […] seinen
Weisungen müßte bei
der Ausführung der Plastiken Rechnung getragen
werden.
3.)
Der Treppenaufgang von der
Würzburger Straße zur
Gedenkstätte ist nach dem Model, das nach den Zeichnungen des
Bauamtes der
Verwaltung der staatlichen Schlösser hier angefertigt wurde,
auszuführen; […].“
Die auf diesen Brief hin notwendigen Umzeichnungen der Entwürfe waren innerhalb der nächsten 10 Tage abgeschlossen, da am 3. März der Oberbürgermeister von Aschaffenburg, Kreisleiter Wohlgemuth, zusammen mit dem zuständigen Stadtbaurat Vogt ein dringendes Antwortschreiben an das Staatsministerium richtete, in dem die einzelnen Änderungen thematisiert wurden und ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass bei einer weiteren Verzögerung die Fertigstellung nicht mehr zu gewährleisten sei[33]. Das Genehmigungsverfahren für die Errichtung war durch die Einschaltung der unterschiedlichsten Stellen, welche in diesem Zusammenhang gehört werden mussten, äußerst langwierig. Als die Bauarbeiten schon begonnen hatten, lag immer noch nicht die Zustimmung der Regierung Unterfranken vor, diese war von einer positiven Stellungnahme des Innenministeriums abhängig. Darüber hinaus musste immer die Staatliche Verwaltung für Schlösser und Gärten gehört werden, da das Denkmal mit seinem Standort im Schöntal in deren Zuständigkeit fiel. Weiterhin waren in die Verhandlungen das Staatsministerium für Unterricht und Kultus und – als Besitzer des Geländes – das Staatsministerium für Finanzen eingeschaltet. Unabhängig von den Zustimmungen erteilte der Oberbürgermeister Ende Februar Aufträge für die Erstellung der Inschriftenplatten und kündigte im Schreiben vom 3. März die Bestellung der Werksteine für Postamente, Stufen und Platten an[34]. Der Zeitdruck bewirkte gegenüber den genehmigten Plänen noch zwei entscheidende Änderungen; so stand für die unter Punkt 2 des Briefes vom 22. Februar geforderte abweichende Aufstellung der Kriegerfiguren bereits fest, dass diese umfangreiche Steinmetzarbeit in der kurzen Zeit nicht mehr realisierbar war, und für die Treppe von der Würzburger Straße aus konnten zunächst unter Verzicht des zentralen Aufgangs nur die beiden Aufgänge nach links und rechts errichtet werden[35]. Beim Vergleich der Entwürfe aus der Aschaffenburger Zeitung mit Fotografien des ausgeführten Ehrenmals ist erkennbar, dass die von Schmid-Ehmen geforderten Änderungen ansonsten exakt umgesetzt wurden.
Am
16. Mai 1936, zwei Wochen vor
dem Jägertreffen, konnten die Leser der Aschaffenburger
Zeitung sich in einem
großen Artikel über den Fortgang der Bauarbeiten
informieren[36].
Wie auf den Fotos erkennbar, hatten die Bauarbeiter der beauftragten
Firma Ott
Bau in den bisherigen acht Wochen seit Baubeginn umfangreiche Arbeit
geleistet.
Zunächst wurde die im Weg stehende Flora-Statue demontiert, um
anschließend mit
der Anlage der Treppe und der Zuwegungen sowie dem Fundament des
Ehrenmals zu
beginnen. Nach wenigen Wochen war die Umrandungsmauer bereits
errichtet;
lediglich die Muschelkalkplatten mit den eingemeißelten Namen
der Gefallenen mussten
noch angebracht werden. In der Zwischenzeit war der bekrönende
Reichsadler
fertig gestellt[37],
und die darunter befindliche
Steinplatte mit der Inschrift „Die Stadt Aschaffenburg ihren
729 gefallenen Söhnen“
und „das
2. Bayer. Jäger-Bataillon
seinen 2707 toten Kameraden“ wartete auf ihre Anbringung[38].
Der Autor des Zeitungsartikels gab den Kritikern des Ehrenmals noch mit
auf den
Weg, dass „das neue Kriegerehrenmal im Magnolienhain einen
würdigen Platz
gefunden hat, (was) […] nur verkannt werden (kann), wenn man
den Sinn eines
solchen Denkmals nicht begreift.“[39].
Der Pfingstsonntag des Jahres 1936 war ein sonniger Tag. Bereits morgens um viertel nach Acht[40] trafen sich die Mitglieder der verschiedenen politischen und militärischen Organisationen am Schlosshof, um sich für den Aufmarsch am Ehrenmal und einen vorherigen Gottesdienst zu versammeln; darunter waren „Ehrenstürme der SA., SS und des Arbeitsdienstes […], der Reichskriegerbund, der Soldatenbund, das Feld-Jägerbataillon, die marschfähigen Kriegsopfer und Kriegsbeschädigten“[41]. Um 9.30 Uhr nahmen die Formationen Aufstellung und marschierten zum Ehrenmal, wo sich bereits nach der vorgegebenen Platzordnung mehrere hundert geladene Gäste[42] eingefunden hatten, während die ebenfalls zahlreichen erschienene Aschaffenburger bei diesem Anlaß keine Gelegenheit hatten, aus geringer Distanz dem Ablauf zu folgen. Nur Inhaber von Ehren- und Hinterbliebenenkarten waren zur Teilnahme an der Ehrenmalweihe zugelassen[43].
Entgegen des Zeitplans, welcher in der Samstagszeitung angekündigt war, fand der Einzug der Fahnen bereits eine Viertelstunde früher statt; der Gaupropagandaleiter Waldemar Vogt hatte sich für die Teilnahme angemeldet und seine Rede musste in den bestehenden Ablauf eingefügt werden. Nach dem Fahneneinzug um 10.15 Uhr wurde ein altniederländisches Dankgebet gesprochen[44] und mehrere Reden gehalten; zuerst von Hauptmann a.D. Ritter von Strobel, anschließend die Weiherede von Kreisleiter und Oberbürgermeister Wohlgemuth, mit der das Ehrenmal in die Obhut der Stadt übernommen wurde. Es folgten Kranzniederlegungen durch den Oberbürgermeister, Jäger, Wehrmacht, NSKOB[45], Reichskriegerbund, Hitlerjugend und durch weitere Formationen, während das SS-Musik-Korps das „Lied vom guten Kameraden“, übertönt von 21 Salutschüssen, spielte. Sowohl Oberbürgermeister Wohlgemuth als auch anschließend der Gaupropagandaleitern betonten, dass nur der nationalsozialistische Staat unter dem Führer Adolf Hitler in der Lage gewesen sei, die Helden des Ersten Weltkriegs in angemessener Weise zu ehren und dass deren Tod nicht umsonst gewesen sei, da sich Deutschland wieder erhoben habe.[46] Nach dem standesgemäßen dreifachen „Sieg-Heil“ sowie dem Deutschland- und Horst-Wessel-Lied verließen die angetretenen Formationen den Ort des Geschehens in Richtung Mittagessen und gestatteten so der Aschaffenburger Bevölkerung einen ersten Blick auf das neue Ehrenmal[47]. Die Aschaffenburger Zeitung betonte zum Abschluss des Artikels über die Ehrenmalweihe noch, dass die letztendliche Ausführung des Ehrenmals „der Idee des Sachverständigen für Denkmalskunde Senator Schmitt-Ehmen [sic!] zu danken“[48].
In
den folgenden Jahren bot das
Ehrenmal häufig Platz für die Selbstinszenierung der
regionalen
nationalsozialistischen Machthaber. In der Aschaffenburger Zeitung
wurde
regelmäßig über die Kranzniederlegungen
berichtet, so am 9. November 1937[49]
und ganzseitig am 14. März 1938 anlässlich einer
Heldengedenkfeier vom Vortag,
die ganz im Zeichen der Eingliederung Österreichs in das
Deutsche Reich stand[50].
Nicht gelungen war bis dahin die Fertigstellung der zwei Kriegerfiguren
vor den
Säulen rechts und links vom Eingang des Ehrenmals. Es ist zu
vermuten, dass das
Ehrenmal für die gesamte Zeit seines Bestehens unvollendet
blieb[51].
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Tage des Ehrenmals schnell gezählt. Am 26. April 1947 veröffentlichte der Stadtrat in seinen Mitteilungen die Kontrollratsverfügung Nr. 30[52], nach der alle Naziembleme in der Öffentlichkeit zu entfernen seien (in diese Anweisung wurden am 24. Mai 1947 mit den Mitteilungen Nr. 103 ausdrücklich „Grabkreuze, Grabdenkmäler usw.“ einbezogen)[53]; zu diesem Zeitpunkt stand das Ehrenmal bereits nicht mehr – der Zeitpunkt des Abrisses ist jedoch nicht bekannt[54]
Das Ehrenmal war verschwunden, das Schöntal lag verwaist. Die Lücken, die der Bombenkrieg und die anschließende Zeit des Mangels geschlagen hatten, konnten nur nach und nach geschlossen werden. Zunächst übernahm die Stadt die Verantwortung für die Gestaltung des Geländes von den Staatlichen Schlössern, Gärten und Seen[55], um anschließend eine umfangreiche Neugestaltung des Parks in einen englischen Garten vorzunehmen[56]. Der Teil des Schöntals, in dem das Ehrenmal stand, war von diesen Änderungen ausgenommen; „der schönste Teil des Schöntals, der M a g n o l i e n h a i n (Hervorhebung im Original, d. Verf.), wurde ebenfalls wieder so erstellt, wie er einst in Friedenszeiten war.“[57] Zu dieser Wiederherstellung gehörte die Beseitigung der Treppe zum Ehrenmal, die ihren mittleren Aufgang nie erhalten hatte. Als „Goebbels-Treppe“ bezeichnet, wurde sie abgerissen und später das Loch in der Schöntalmauer wieder verschlossen[58]. Die fehlenden 12 Magnolienbäume konnten in Deutschland nicht bezogen werden und stammten aus Holland[59]
Während im Schöntal die Spuren des Krieges und des politisch nicht mehr tragbaren Ehrenmals beseitigt wurden[60], erstand am alten Standort im Schlosshof erneut ein Ehrenmal für die Jäger an Stelle des Hubertus-Hirschs[61]. Auf die Wiederherstellung des Hirschen wurde verzichtet, obwohl Otto Gentil die alte Form für den Bronze-Guss aufbewahrt hatte und diese trotz Beschädigung noch nutzbar war, und lediglich der alte Sockel von 1925 mit der Inschrift „Unseren Jägern und ihren Heldentaten 1914-1918“[62] wurde wieder angebracht[63]. Noch zwei weitere Male konnte das Main-Echo eine Erweiterung und Veränderung des Ehrenmals vermelden[64]; 1975 kam für den Standort des Denkmals neben weiteren Vorschlägen erneut das Kornhäuschen ins Gespräch, aber wieder fehlte das Geld[65]. So trafen sich an einem grauen Sonntag im November 1976 „Traditionsverbände ehemaliger aktiver Soldaten, Abordnungen des Vereins der Kriegsopfer, Angehörige von Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie Vertreter verschiedener Organisationen“[66] zur – zumindest für das 20. Jahrhundert – letzten Einweihung eines Ehrenmals in Aschaffenburg für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs sowie Opfer des Zweiten Weltkriegs. Und wieder wurden Kränze niedergelegt unter dem Klang des „Guten Kameraden“[67].
Die beiden verantwortlichen Aschaffenburger Künstler für das Schöntaler Jägerehrenmal gingen nach der Errichtung getrennte Wege. Ferdinand Keilmann jun. bewarb sich beim Baustab der Reichsluftwaffe[68] und plante bis 1938 Gebäude zunächst für einen Seefliegerhorst in Hörnum auf Sylt und dann für eine Flak-Kaserne im Süden Berlins. Anschließend übernahm er den Auftrag, in Stahnsdorf bei Potsdam eine Werkswohnungsanlage mit 1000 Wohneinheiten zu planen, um ab 1941 in Herbert Rimpls[69] (1902-1978) „Privatatelier“ zu wechseln, wo im Rahmen von Albert Speers „Germania“-Planung in erster Linie der zentrale Südbahnhof der Berliner Nord-Süd-Achse entworfen wurde. Nachdem Speer die Umgestaltungsplanungen ab 1943 einstellen ließ, arbeitete Keilmann in der „Deutschen Akademie für Wohnungswesen e.V.“ am „Behelfsheim des Deutschen Wohnungshilfswerks“, im Volksmund auch „Ley-Laube“[70] genannt. Im Herbst 1944 kehrte er kurz nach Aschaffenburg zurück, um dann als Architekt mit der Firma Ott-Bau in Roigheim bei Heilbronn eine unterirdische Produktionsverlagerung zu realisieren. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als Mitläufer eingestuft. 1950 stellte die Stadt Bochum ihn als Architekten ein, wo er dann bis zu seiner Pensionierung 1972 als Stadtbaumeister eine ganze Reihe öffentlicher Gebäude gestaltete, die heute als durchaus stadtbildprägend gelten können.
Im
Gegensatz zu Keilmann verließ
Otto Gentil seine Heimatstadt nicht mehr. Die Lehrtätigkeit an
Otto Leitolfs
Meisterschule übte er bis 1939 aus und schuf in dieser Zeit
eine ganze Reihe
bildhauerischer Arbeiten, von denen viele bei dem großen
Luftangriff auf
Aschaffenburg am 21. November 1944 verloren gingen; so beispielsweise
die
Medaillons am Haupteingang des städtischen Krankenhauses. Der
Hubertus-Hirsch
im Schlosshof konnte bei diesem Angriff nicht mehr zerstört
werden, da er bereits
im Rahmen einer Metallsammlung während des Krieges abmontiert
und eingeschmolzen
worden war[71].
1946 baute Gentil sein
zerstörtes Atelier in der Grünewaldstraße
wieder auf und beschäftigte sich bis
zu seinem Tod 1969 in erster Linie mit abstrakten
künstlerischen
Ausdrucksmöglichkeiten und Farbstudien[72].
Während die Stadt Aschaffenburg ihn nach seinem Tod in zwei
Ausstellungen in
der Jesuitenkirche in den Jahren 1978 und 1993 ehrte, zeugen heute nur
noch
wenige seiner Werke von seinem umfangreichen Schaffen in der Stadt. Zu
nennen
sind hier in erster Linie das Haus in der
Grünewaldstraße selbst und die
Denkmäler für Pater Bernhard und St. Nepomuk[73].
Als in
den 80er Jahren die
Aschaffenburger Ringstraße gebaut wurde, stießen
die Bauarbeiter auf Steinplatten
und bearbeitete Sockelsteine, deren Herkunft unklar war.
Ordnungsgemäß wurde
ein Mitarbeiter des Stadtmuseums zur Baustelle gerufen, um die Funde zu
sichern[74].
Seitdem liegt im Stadtmuseum der Sockelstein des mittleren Risalits vom
Schöntaler Ehrenmal sowie – die Forschung ist hier
noch nicht abgeschlossen –
wahrscheinlich der untere Steinblock der Flora-Statue, die dem
Nazi-Ehrenmal
hatte weichen müssen. Die verschwundenen Steinplatten mit den
eingeschlagenen
Namen der gefallenen Jäger und Aschaffenburger fanden sich bei
dieser
Gelegenheit nicht. Fest steht, dass sie vor dem 28. Mai 1955 noch im
Bauhof
lagen, da an diesem Tag ein kurzer bebilderter Artikel im
Aschaffenburger
Volksblatt erschien, in dem es um den gerüchteweisen Verbleib
der Platten ging[75].
Der Autor des Zeitungsartikels stellte nach einem Besuch im Bauhof der
Stadt
und im Schwimmbad fest, dass die Platten nicht für den
Bodenbelag der
Stadtbadterrasse verwendet worden waren. So bleiben die Namensplatten
heute
verschollen; vielleicht liegen sie ja unweit des Fundorts des
Ehrenmalfragments
in der Nähe der Ringstraße, vielleicht liegen sie
den Aschaffenburgern an
anderer Stelle zu Füßen. Im Schwimmbad jedenfalls
liegen sie nicht.
Der Autor möchte sich an dieser Stelle für die freundliche Unterstützung durch Herrn Peter Fraundorfer bedanken, der Schriftstücke aus dem Nachlass von Kurt Schmid-Ehmen zur Verfügung gestellt hat, welche im Aschaffenburger Stadt- und Stiftsarchiv aufgrund von Kriegseinwirkungen nicht mehr vorliegen. Darüber hinaus geht der Dank an Herrn Martin Höpfner vom Stadtmuseum, der eine ganze Reihe von Hinweisen zum Verbleib des Ehrenmals gab.